NRW-Initiative gegen Jugendkriminalität stellt die Weichen richtig

Prof. Dr. Stefan Sell vom RheinAhrCampus ist der Meinung: Durch intensive und frühzeitige Hilfen können zukünftige Intensivstraftäter-Karrieren verhindert werden

NRW/Remagen. Die Polizei in NRW will mit einer neuen einmaligen Initiative verhindern, dass gefährdete Kinder und Jugendliche zu Intensivstraftätern werden. „Sie sollen früh nötige Hilfe bekommen, um sie vor einem Abgleiten in die Kriminalität zu bewahren. Unser Motto lautet: Kurve kriegen“, sagte Innenminister Ralf Jäger heute in Düsseldorf.

 

Erfahrungen zeigen, dass Intensivtäter häufig bereits vor dem 14. Lebensjahr durch Gewalt- und Eigentumsdelikte auffallen. „Hier müssen wir mit einem individuellen und sehr konzentrierten Programm ansetzen, weil sich besser in jungen Jahren Entwicklungen mit guter Aussicht auf Erfolg beeinflussen lassen“, erläuterte Jäger.

 

Die Polizei erfährt als erstes davon, wenn Kinder straffällig werden. Deshalb soll den Modellbehörden ermöglicht werden, gezielt und umsichtig zu helfen. Geplant ist, pädagogische und psychologische Fachkräfte in die Teams der Polizei einzubinden. Auf jede Straftat soll unverzüglich eine pädagogische Maßnahme erfolgen. Dafür wird es ein abgestuftes Konzept geben -  vom sozialen Training bis hin zur intensiv pädagogischen Betreuung in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Coolness-Training, Lernhilfen, Sprach- oder Sportkurse; die angedachten Hilfestellungen sind vielfältig. Die Teams aus Polizei und pädagogischen Fachkräften sollen sich dabei eng mit den Jugendämtern abstimmen und Eltern in das Konzept mit einbeziehen.

 

Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der FH Koblenz (ibus) und Mitglied des Landesbeirats für Strafvollzug und Kriminologie im Ministerium für Justiz des Landes Rheinland-Pfalz, hält die Initiative aus mehreren Perspektiven für einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. „Sowohl wissenschaftliche Studien als auch die Erfahrungen der Praktiker zeigen die Sinnhaftigkeit der Strategie „Früh investieren statt später reparieren“ auf. Bislang muss leider sehr oft beobachtet werden, dass diese jungen Menschen durch das löchrige Netz der vielen unterschiedlichen Zuständigkeiten fallen oder dass die Hilfen zu spät eingesetzt werden“. Zugleich sollten die Hilfen dabei möglichst ohne Unterbrechung und sehr intensiv ausgestaltet werden, so der Sozialwissenschaftler.

 

Das NRW-Projekt zur Prävention von Jugendkriminalität ist ambitioniert, denn es verfolgt den Ansatz, die oftmals in unterschiedlichen Welten lebenden Mitarbeiter von Polizei, Jugendamt oder freien Trägern in einem Netzwerk zusammenzuführen, und das einzelfallbezogen. Somit werden die fachlichen Standards der heutigen Jugendhilfe eingebunden, ohne dabei die praktische Erfahrung der Polizei aus den Augen zu verlieren.

 

Im vergangenen Jahr gab es in NRW 3.969 mehrfachtatverdächtige Kinder und Jugendliche, die rund 30.000 Straftaten begingen. „Man sollte natürlich klar vor Augen haben, dass es auch mit noch so anspruchsvollen Maßnahmen und Techniken nur bei einem Teil der jungen Menschen gelingen kann, eine bestimmte Entwicklung zu verändern oder umzukehren. Aber es gibt gerade an dieser Stelle genügend gesicherte Hinweise, dass der Wirkungsgrad der Maßnahmen im frühen Alter besonders hoch ist“, so Professor Sell. Wie Innenminister Jäger es treffend formulierte: „Jedes Kind, das mit unserer Hilfe die Kurve kriegt, ist ein Gewinn. Ein Gewinn für den persönlichen Lebensweg und ein  Gewinn für unsere Gesellschaft“.