33 Jahre danach: Ostdeutsche in Führungspositionen des gesamtdeutschen Sports

  • Prof. Dr. Lutz Thieme der Hochschule Koblenz

    Prof. Dr. Lutz Thieme, Hochschule Koblenz, Lehrgebiete: Sportmanagement, Sportökonomie, Wissenschaftstheorie, Forschungsmethoden

Ostdeutsch sozialisierte Personen sind auch in Führungspositionen im Sport mehr als 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung unterrepräsentiert. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Lutz Thieme, die jetzt im renomierten German Journal for Excercise and Sport Research veröffentlicht wurde. Der aus Thüringen stammende und an der Hochschule Koblenz forschende Autor hatte dafür die Besetzung der einflusstärksten haupt- und ehrenamtlich besetzten Gremien im Deutschen Olympischen Sportbund, in den olympischen und paralympischen Spitzenverbänden sowie in den Landessportbünden untersucht.

Neben der am Anteil der Wohnbevölkerung bemessenen Unterrepräsentanz ostdeutsch Sozialisierter waren aber auch westdeutsch Sozialisierte in ostdeutschen Landessportbünden unterrepräsentiert. Zudem sind Frauen unabhängig von Ort ihrer Primärsozialisation in allen Gremien zu gering vertreten. Der Blick auf die hauptamtlichen und ehrenamtlichen Spitzenpositionen im Sport liefert zudem Hinweise auf eine aus anderen gesellschaftlichen Bereichen für Frauen festgestellte „Gläserne Decke“, die allerdings im Sport auch für ostdeutsch Sozialisierte vorhanden zu sein scheint.

Die hinter den sozialen Positionszuweisungen wirkenden Mechanismen sind derzeit aus Sicht des Autors noch unklar. Er nimmt an, dass es sich um eine Wechselwirkung zwischen den aus Geschlecht und Herkunft abgeleiteten erworbenen Merkmalen, die Personen aus den diskriminierten Gruppen von Dritten zugewiesen werden, dem Erlebnis fehlender Legitimität ihrer tatsächlich erworbenen Merkmale und eine damit verbundene Selbstbeschränkung beim Streben nach gesamtdeutschen Elitepositionen handelt. Offen bleibt, ob die im Vergleich zu anderen Domänen etwas höhere Repräsentanz ostdeutsch Sozialisierter auf die Stärke des ostdeutschen Leistungssportsystems zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung ursächlich zurückzuführen ist oder ob (auch) andere Faktoren zu diesem empirischen Befund beitragen.

Die vorliegende Studie schließt an Studien zur Repräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen an, ist allerdings die erste für den Bereich des Sports. Dieser ist auch deshalb interessant, weil die ehemalige DDR zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung ein am Medaillenerfolg gemessen erfolgreicheres Sportsystem aufweisen konnte als die Bundesrepublik. Zudem werden erstmalig auch ehrenamtliche Führungspositionen betrachtet.

Die Studie ist als Open Access unter https://link.springer.com/article/10.1007/s12662-024-00958-2 frei verfügbar.